Die Suche nach dem Higgs-Boson

Die Frage nach der Existenz des Higgs-Bosons ist eine zentrale Frage der Physik. Am LHC muss geklärt werden, ob das im Standardmodell eingeführte Higgs-Boson in dem noch offenen Massenbereich von 114 GeV/c2 (untere Grenze, aus der direkten Suche bei LEP) bis zur theoretisch motivierten Obergrenze von etwa 1 TeV/c2 existiert. Die Strategien zur Suche nach dem Higgs-Teilchen wurden unter großer deutscher Beteiligung vor Beginn der Datennahme entwickelt. Die für eine Entdeckung bzw. einen Ausschluss benötigte integrierte Luminosität hängt stark von der Higgs-Masse ab. Am schwierigsten gestaltet sich die Suche im niedrigen Massenbereich, für Higgs-Boson-Massen um 120 GeV/c2. In diesem Bereich muss der Nachweis über mehrere Zerfallskanäle mit kleinen Verzweigungsverhältnissen geführt werden.

Bereits mit den im Jahre 2011 aufgezeichneten Daten konnten erste Aussagen über die Existenz des Higgs-Bosons getroffen werden. Die höchste Sensitivität, vor allem im Massenbereich um 160 GeV/c2, hatte dabei der Zerfallskanal HWWℓνℓν. In diesem Kanal alleine konnte mit Daten, die einer integrierten Luminosität von etwa 2.3 fb-1 entsprechen, ein Massenbereich von 145 bis 206 GeV/c2 ausgeschlossen werden. Es ist beeindruckend, dass dieser Ausschluss bereits nach nur zwei Jahren LHC-Laufzeit und mit einer um etwa einen Faktor vier geringeren integrierten Datenmenge deutlich über dem vom Tevatron erzielten Ausschlussbereich liegt. Zu diesem Ergebnis haben deutsche Gruppen aus Freiburg, Mainz, der LMU München und dem MPP München federführend beigetragen.

Darüber hinaus wurde die Higgs-Suche in sechs weiteren Zerfallskanälen durchgeführt, auch wenn diese für sich genommen bislang noch keine Sensitivität erreicht haben. Allerdings tragen sie bereits jetzt in der Kombination aller Kanäle zum Ergebnis der Higgs-Suche bei. Mit einer größeren Datenmenge werden diese Kanäle insbesondere im niedrigen Massenbereich um 120 GeV/c2 in Zukunft wesentlich wichtiger werden. Dies sind im niedrigen Massenbereich: Hγγ, HZZ*4ℓ (MPP München), Hττ (Bonn, Dresden, Freiburg) und WH/ZH mit Hbb (Bonn, Freiburg). Im höhen Massenbereich, mH>2mZ, wurden die Kanäle HZZ4ℓ (MPP München), HZZℓℓνν, HZZℓℓqq, HWWℓℓqq betrachtet.

Neben der Suche nach dem Standardmodell-Higgs-Boson wurden auch bereits Suchen nach supersymmetrischen Higgs-Bosonen veröffentlicht. Auch hier stimmen die Daten mit den Erwartungen aus Standardmodellprozessen überein und es wurde bislang kein Hinweis auf die Existenz supersymmetrischer Higgs-Bosonen gefunden. In der Suche nach neutralen Higgs-Bosonen im Zerfallskanal Hττ konnten bereits mit den Daten des Jahres 2010 die Ausschlussgrenzen des Tevatron deutlich verbessert werden. Dies war die erste ATLAS-Analyse im Bereich der Higgs-Physik, die das Tevatron an Sensitivität übertraf. Die Analyse von 1 fb-1 der Daten aus dem Jahr 2011 hat diese Grenzen weiter deutlich verbessert. An beiden Analysen waren die FSP-Gruppen aus Bonn und Freiburg federführend beteiligt. In der Suche nach geladenen Higgs-Bosonen, die in Zerfällen des Top-Quarks produziert werden können und in ein Tau-Lepton und ein Neutrino zerfallen, gelang es mit 1 fb-1 der Daten aus 2011 die Grenzen des Tevatron auf das Verzweigungsverhältnis BR(tH+b) um einen Faktor vier zu verbessern. Die FSP-Gruppen aus Dresden und Freiburg haben sehr signifikante Beiträge geleistet.

ATLAS präsentiert LHC-Sensitivität auf das Higgs - Deutsche Gruppen wesentlich beteiligt - 28.7.2011
Sie sei seit 10 Jahren nicht so begeistert von einer Physik-Konferenz gewesen, zitierte die französische Tageszeitung "Le Figaro" eine Physikerin in seinem Artikel von der Teilchenphysik Konferenz der European Physical Society (EPS), die vom 21. bis 27. Juli 2011 in Grenoble stattfand. Tatsächlich schlagen die Ergebnisse, die dort vorgestellt wurde, große Wellen. Die Konferenz-Webseite mit den Vorträgen brach teilweise wegen Überlastung zusammen. Die Gemeinde der Teilchenphysiker hält den Atem an. Das Higgs, das letzte fehlende Puzzlestückchen im Standardmodel, 1964 theoretisch vorhergesagt von Englert, Brout, Higgs, Guralnik, Hagen und Kibble - ist es endlich gefunden worden?

 



 
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